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Das Ewig-Weibliche

Alle Probleme über die Aufgabe der Frau wurzeln in dem Sinn des Weiblichen im gesamten Kosmos. So wie das irdische Lebensbild überall, immer nur ein Gleichnis ist für das andere, das höhere, eigentliche Leben des Menschen, so ist im besonderen das Leben der Frau ein Gleichnis für die Aufgabe des Weiblichen im Weltganzen.

Trotz der engen Beziehungen zwischen Mann und Frau ist das Problem des „Ewig-Weiblichen“ doch immer die große Rätselfrage. Dieses Rätselhafte bezieht sich jedoch nicht nur auf die den Mann umgebende Frau, es findet sich in eines jeden Menschen Brust, als die große Frage an das Werden, das Sein und Vergehen, an das Leben in seinem Ursprung und seiner Ganzheit. Das Zeitlose eines längst Vergangenen, die ewige, vollkommene Menschengestalt, das Urbild des Menschen, ist Sehnsucht und Geheimnis. Im zweiten Teil des Faust steigert sich bei Goethe diese Erkenntnis und darum dringt er hindurch und hinunter zu den Müttern. Sie sind die Göttinnen, die in hehrer Einsamkeit thronen, vorstehende Weltenmächte mütterlich verwaltend, die den Fluss des ewigen Werdens kennen, die göttliche Kräfte überall verbreiten und die ewige Liebe überall wirksam sein lassen. Sie wohnen im Sonnenaufgang und schauen in den tiefsten, allertiefsten Weltengrund, der alle Wesen in die Welt der Zeiten schickt und alles wieder in sich aufnimmt.

Die Geistsubstanz des Menschen ist im Grunde geschlechtslos. Durch die enge Bezogenheit auf den männlich oder weiblich bestimmten Körper und die Wechselwirkung von Stoff und Geist wird jedoch die Seele mitbestimmt - und somit zeigt die Seele der Frau andere Wesenszüge als die Seele des Mannes. Während der Körper des Mannes eine größere Muskelkraft entwickelt, ist der Körper der Frau an inneren Funktionen reicher. Die weiblichen Geschlechtszellen sind ruhig und wohlbehütet in das innere Organ eingebettet, während die männlichen nach außen drängen. Die weibliche Eizelle häuft in sich Nährstoffe auf, während die Samenzellen des Mannes die Kräfte verschwenden und ausgeben. Darum gestaltet sich auch das Innenleben der Frau so ganz anders als das des Mannes. Meist erkennt die Frau die Dinge des Lebens intuitiv anders und besser als der Mann. Vielfach verliert der Mann seine subjektive Kraft in das Sachlich-Objektive und wird dadurch gespalten in das Subjektive und Objektive. Diesem Dualismus zufolge findet er die harmonische Ganzheit und die Verbindung mit dem metaphysischen Urgrund des Menschenlebens schwerer als die Frau. Die Frau kommt der Wahrheit intuitiv nahe, während der Mann meist den Umweg über das begrifflich-logische Denken und Beweisführungen machen muss. Er sieht alle Dinge - im allgemeinen - zunächst verstandesmäßig, bei der Frau tritt das Erfühlen der Dinge in den Vordergrund.

Vielfach wird dadurch die Frau als minderwertiger bezeichnet, aber in Wirklichkeit bedeutet gerade diese Mannigfaltigkeit Einheit und Vollkommenheit der Menschennatur. Der ernsthafte Mann wird immer mit Achtung und Ehrfurcht vor dem Wesen der ernsthaften Frau stehen, er wird dahinter die Seele erspüren und das, was ihm das Rätselhafte an der Frau bedeutet, wird ihm bald als das Rätsel seiner eigenen Seele erscheinen. Das Gefühlsleben der Frau spiegelt die innere Gemütsfülle, die Seele, die das Wesen der Frau bestimmt und trägt. Diese Fülle des Gemütes führt in ein tief empfundenes Insich- und Beisichsein, sie führt auch zu der intuitiven Kraft des Schauens in die Tiefen der eigenen Seele und lässt sie die Möglichkeiten der Um- und Mitwelt ahnen.

Jede Menschenseele verspürt in sich das Verlangen nach Einheit und Ganzheit, nach Harmonie und Fülle, nach Hingebung an die tiefsten Gründe, „dass er eins und doppelt ist“ (Faust), des menschlichen Lebens. Das ist die weibliche Natur, die auch in der Seele des Mannes lebendig ist, so er gelernt hat.

Auf dem schöpferischen Zusammenwirken der männlichen und weiblichen Kräfte beruht alles Leben. Die Polarität dieser Kräfte schwingt durch das Universum. Eins ohne das andere ist undenkbar, ja unmöglich. Nur in der engsten Gemeinsamkeit ist Leben und in der engsten Bezogenheit des einen auf das andere wird die Schöpfung ewig wiederholt. Das gilt nicht nur für das physische Leben, auch alles geistige Leben ist von dieser Vereinheitlichung abhängig. Hier steht ein Mysterium vor uns, durch das wir einen Einblick tun können in das Wesen und die Weisheit der Schöpfung. Polarität ist Totalität.

„Das Weib ist die andere Hälfte des Mannes“, das bedeutet, dass das Weibliche für den Mann das „andere Sein“ ist. Die Hingabe ist die wesenhafteste Haltung der Frauennatur, für den Mann heißt es: „Er erkennt das Weib“. Die Hingebung der Frau bewirkt das Erkennen und dadurch wird ein Geheimnis des Lebens offenbar. Das gilt für alles polare Zusammenwirken männlicher und weiblicher Kräfte und bedeutet für das Leben die Einheit.

Wie oft zeigt uns die Dichtung, wie der Mann durch das Wesen der Frau das Bild seiner eigenen Seele erkannt hat, wie sie ihn aus einer Einsamkeit erlöst hat - durch die Liebe, die in ihm selbst lebendig wurde - durch die Frau. Überall in der Schöpfung zeigt sich das Motiv des Weiblichen. Die erwachende bräutliche Frühlingserde, das knospende Samenkorn, das brütende Vogelweibchen auf seinem Nest, das säugende Muttertier des Waldes und der Wildnis, wieviel weibliche Mütterlichkeit überall. Die Strahlen dieses Weiblichen liegen über der liebenden Braut, über der Gattin und vor allem auch über jeder menschlichen Mutter. Das Mütterlich-Weibliche steigt auf aus jeder menschlichen Güte und zieht den Menschen aus der naturbedingten Sphäre hinaus in die geistige und übernatürliche. Da, wo die Frau sie selbst ist, da gibt sie sich schenkend hin und ist so von dem urewigen Weiblichen erfüllt, ist Braut und Mutter zugleich.

Von Emma Schubmehl

„Ungern entdeck ich höheres Geheimnis. Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit; Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
Die Mütter sind es.“
(Faust)

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